Frauentag 2021
Mit Mitte 20 habe ich angefangen zu arbeiten. Stolz und mit meinem Diplom in der Tasche fühlte ich mich unbesiegbar. Erster Job: ein Volontariat in einer renommierten Berliner Presse-Agentur. Der Chef der Agentur: mindestens Mitte 50. Erfolgreicher Geschäftsmann, war selten in der Agentur, drei bis fünf Frauen machten die Hauptarbeit. Davon eine studentische Aushilfe und eine Volontärin, die war ich. Manchmal brachte er seinen Hund vorbei, damit ich Gassi ging.
Er nahm mich mit auf zahlreiche Veranstaltungen. Ich freute mich, war stolz, offenbar traute man(n) mir einiges zu. Für einen Termin bat er mich um etwas andere Kleidung. Dabei bedachte er mich von oben bis unten mit einem abschätzigen Blick und sagte dann: „Zieh doch morgen bitte hohe Schuhe an und einen kürzeren Rock.“
Ich machte mir gar keine Gedanken, ich zog sogar los und kaufte mir Schuhe. Die Veranstaltung war widerlich, lauter andere alte Männer, die blöde Sprüche machten. Ich war nur damit beschäftigt, an meinem Rock herum zu zupfen. Versuchte auf den weichen Sofas meine Beine so zu sortieren, dass nicht mein ganzer Schenkel heraus schaute. Auf dem Heimweg im Auto bedeckte ich meine Beine mit einem Strickjäckchen. Mein Chef bemerkte es, „mach dir keine Sorgen“, sagte er, „du bist eh nicht mein Typ. Viel zu alt.“ Danach lachte er gehässig und wir fuhren zu seinem Lieblingsweinhändler, dort prahlte er mit seinem Geld und kaufte eine Flasche Wein für 100 Euro. „Da kommst du auch noch hin.“ Ich verdiente 989 Euro/netto, natürlich für 40 Stunden in der Woche, eher mehr. Nach drei Monaten kündigte ich.
Später arbeitete ich in einer Berliner Redaktion. Ein externer Berater war mein Vorgesetzter. Wir verstanden uns prächtig, scherzten viel und lachten zusammen - solange ich Single war und ihm Montag von meinen wilden Wochenend-Eskapaden erzählte. Die verpackte ich natürlich anekdotenreich und witzig, ich wusste ja, er mag das.
Als ich dann einen festen Freund hatte, fing er an, mich zu meiden, fand mich weniger witzig und ich wurde immer langweiliger. Als ich schwanger war, war es vollends vorbei. Seine Devise: Frauen werden dumm, wenn sie Kinder bekommen. Das wusste ich vorher von ihm, trotzdem ging ich in Elternzeit und kehrte zurück. Ich wollte in Teilzeit arbeiten. Mein Vorgesetzter bestätigte mir, „ich wusste, dass sie verblöden, wenn sie Mutter werden.“ Ich kündigte.
Der letzte Job, den ich mit einem männlichen Chef hatte, war als Online-Redakteurin in einem Unternehmen, dachte ich. Meine Aufgaben: Ablage, ans Telefon gehen, die Tür für die Postbotin öffnen. In der Woche, in der ich kündigte, in der ich entschied zu gehen, bat mich mein Chef, doch bitte die Tür zu schließen, „er könne meine gute Laune nicht ertragen“.
Seitdem hatte ich nie wieder einen Chef. Es gab auch gute Vorgesetzte in meiner Zeit als Angestellte, aber sie gehen in meiner Erinnerung unter. Jetzt bin ich meine eigene Chefin. Es gibt einen bestimmten Typ Mann, bei dem ich, begegnet er mir sofort rot sehe. Ich habe Vorurteile, die ich schwer ablegen kann. So sehr haben mich die vergangenen 15 Jahre geprägt. Ich will es anders machen, besser. Und der erste Schritt ist, darüber zu sprechen, schreiben, berichten.
Manchmal denke ich, ach wen interessiert das denn noch? Das ist doch nichts Neues. Aber je mehr darüber spreche, desto mehr Männer überdenken vielleicht ihr Benehmen, ihre Worte. Ich wünsche mir, dass es auch für meinen ersten Chef noch nicht zu spät ist und er nicht mehr von seinen Volontärinnen erbittet, kürzere Röcke zu tragen. Oder aber die Mädels stark genug sind, zu einem solchen Termin im Kartoffelsack aufzutauchen.
Gestern habe ich den Film „Woman“ geschaut. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was diese 2000 Frauen mit mir gemacht haben. Sie haben mich berührt, geängstigt, verängstigt und nicht zuletzt stark gemacht. Stark gemacht, darüber zu sprechen, was wir erlebt haben. Hiermit erledigt!