Augenbrauen, Wimpern & Co.

Ich trage gerne kurze Röcke. Ich liebe es, wenn meine Beine frei sind. Ich habe schöne Beine. Darf ich das schreiben? Oder klingt das eingebildet? Gerade sind ja eigentlich längere Röcke im Trend und sogenannten Midi-Kleider, aber ich mag es kurz. Ich denke immer, wenn ich älter bin und meine Beine nicht mehr so schön, dann kann ich sie verstecken. Aber warum eigentlich? Ich fühle mich wohler in kurzen Röcken als in jeder Jeans.

Woher kommen bloß immer diese Zweifel? Oder hängt das mit der Pandemie zusammen? Sind wir einfach nicht mehr gewöhnt, unsere liebsten Sachen zu tragen? Ich frage mich, ob ich mich tatsächlich nur noch in meiner zu Hause Kluft wohlfühle und ob das wieder aufhört. Wann stehe ich wieder vor dem Spiegel und probiere verschiedene Klamotten an? Wann ziehe ich nicht einfach nur immer wieder den Hoodie aus dem Schrank? Sogar wenn ich irgendwohin fahre, ziehe ich die gemütlichen Klamotten vor. Ich denke dann, ich steige sowieso nur ins Auto und dann sitze ich mit einer Freundin alleine in der Wohnung. Da frage ich mich doch, für wen ich mich vor der Pandemie „hübsch“ gemacht habe? Eigentlich nur „für mich“, dachte ich immer. Aber jetzt, wo ich mich für mich jeden Tag besonders bequem anziehe, verändert sich dieses „für mich“.

Back to Bahn

Als ich vergangene Woche zu einer kleine Mädelsrunde aufbrechen wollte, natürlich nicht ohne mich vorher zu testen, sprang unser Auto nicht an. Ich hatte mich seit langer Zeit mal wieder vernünftig angezogen, inklusive geliebten kurzen Rock. Seit Corona fahren wir fast nur noch mit dem Auto. Stand es vor einem Jahr nur vor der Tür, ist es jetzt ständig im Einsatz, denn wir fahren nicht mehr Bahn, aus Angst, dass wir uns mit Corona anstecken könnten. Jetzt war klar, ich werde wieder einmal in die S-Bahn steigen. Kurz überlegte ich, ob ich schnell den kurzen Rock ausziehen sollte. Verwarf den Gedanken aber direkt wieder, weil ich mich wunderte, warum ich plötzlich in meinem Wohlfühl-Outfit unsicher war. Sollte ich auf einmal Angst vor dem Bahn fahren haben? Sind die Blicke vielleicht anders geworden seit Corona? 

Ich liebe es eigentlich in der Bahn zu sitzen. Ich mag es mit den Menschen zusammen auf dem Weg zu sein. Eine kleine Reise irgendwohin. In der Bahn erlebe ich immer etwas und sei es nur ein Lächeln. Ach ja, dieses Lächeln, das ist ja versteckt. Es gibt zwar Geselligkeit, nirgendwo sind aktuell so viele Menschen auf einem Haufen wie in der Bahn, aber es ist anonym. Nur scheue Augen, die ängstlich hin und her wandern, immer auf der Hut vor dem Virus.

Schau mir in die Augen

Ich genieße es trotzdem, lasse mich durch Berlin schaukeln, beobachte meine Stadt und mustere die Leute um mich herum. Erst etwas scheu, auch ich bin es nicht mehr gewöhnt Blickkontakt zu haben, dann intensiver. Ich werde wieder sicherer. Es ist spannend. Ich muss nicht überlegen, ob es Zeit ist zu lächeln, ich sehe es sowieso nicht. Dann beginne ich doch zu lächeln unter meine Maske. Sehen die anderen das? Ist mein Lächeln nur an den Augen zu erkennen? Ich werde es zu Hause probieren. Ich versuche also zu deuten, ob auch die anderen zurücklächeln. Selbstbewusst fange ich an, alle anzulächeln. Manche bemerken es und lachen tapfer zurück, zumindest glaube ich das. Mein Körper beginnt sich zu entspannen, als würde mit dem Lächeln mein Selbstbewusstsein zurückkehren. Ich frage mich, warum ich glaubte, mein Rock sei zu kurz. Ist doch super, ist wie immer. Ich strahle richtig unter meiner Maske und bin geneigt, sie einmal kurz zu lüften, damit ich jemanden richtig anlachen kann. Das kann ich gut. Ich lache gerne. Und jetzt will ich auch die anderen lachen sehen.

Aber es geht nicht. Meine Freude legt sich. Die erste Euphorie schwindet und ich erinnere mich an das Bahn fahren vor der Pandemie. In Berlin dauert eine Fahrt immer mindestens 20 Minuten, oft nervt es und trotzdem war es meistens lustig, zumindest für mich. Mit offenen Augen und Ohren gibt es viel zu sehen und zu belauschen. Ich habe sogar mal eine Kolumne über das Bahn fahren geschrieben, da pendelte ich jeden Tag nach Potsdam und hab wirklich etwas erlebt. Ich habe verrückte Menschen kennengelernt, unglaublich viel geflirtet, mich geekelt und gelesen. Die letzte richtig aufregende Bekanntschaft, die ich gemacht habe, war mein Mann. Wir haben uns in der Bahn kennengelernt. Manchmal fahren wir an unserem Kennenlern-Tag Ringbahn und freuen uns. Das wäre heute unmöglich, denn ohne Mund geht bei mir gar nichts. Der muss zu sehen sein. Letztes Jahr, als es mit Corona losging, habe ich bei meiner ersten Masken-Fahrt das geschrieben:

Keine Sicht auf Münder,

das ist gesünder.

Aber der Mensch, 

er braucht Gesten und Mimik.

So sieht man wenig, 

nur die Augen und die glauben,

nur ein Blick ist wie ein Kick.

Und sagt nichts aus, 

ohne die Zähne und Lippen.

Das ist Häme, an denen, 

die lieber auf alles schauen.

Um darauf zu bauen, 

wer hinter der Maske steckt.

Das weckt - keine Fantasie in mir.

Und auch nicht in dir, mir gegenüber.

Denn deine Augen sind langweilig.

Und ich brauche mehr, für viel.

Und so sage ich nichts.

Mein Mund ist zu und ich bin raus.


In Augen lesen

Ich denke darüber nach, was Augen für eine Bedeutung haben. Eigentlich bin ich nicht so die Augen-Guckerin, aber jetzt bleibt mir keine Wahl. Ich überlege, welche Art von Augen ich kenne. Mir fallen die Sprüche ein, die wir als Teenager immer gesagt haben:

Braune Augen sind gefährlich, aber in der Liebe ehrlich. 

Blaue Augen, Himmelsstern, küssen und posieren gern. 

Grüne Augen, Froschnatur, von der Liebe keine Spur.

Das ist natürlich Quatsch, aber die Erinnerung daran lustig. Stattdessen fallen mir Blicke auf. Sie sind skeptisch, vorsichtig, hinterlistig, falsch, offen, freundlich. Mir fallen verrückte Brillen auf und traurige Blicke. Ich achte auf Augenbrauen, Wimpern, Haaransätze, Mützen, Glatzen, Falten und Fältchen - daran erkenne ich ein Lachen und an den Lachfältchen. Ein ganz anderer Blickwinkel und ich freue mich wieder. Manche runzeln die Stirn, einige haben tiefe Furchen, viele schauen sofort weg. Die wenigsten halten einem Blickkontakt stand.

Meine neue Challenge: Ich will üben zu erkennen, wer hinter der Maske lacht. Auf dem Rückweg bin ich beschwingt und freue mich so sehr, dass ich beschließe, jetzt wieder öfter Bahn zu fahren. Bis unser Auto wieder rollt, dauert es sicher noch eine Weile. Ich überlege schon, wo ich als Nächstes mit der BVG hinjuckeln könnte, vielleicht mal wieder Straßenbahn? Als ich nach Hause komme, strahlt mein Mann mich an und verkündet froh: „Morgen wird das Auto repariert.“


In diesem Sinne: Fahrt mal wieder Bahn und bleibt leicht&lebendig,

Eure Heli

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Ich bin (m)ein Gegensatz