Ich bin (m)ein Gegensatz

Diese Woche wurde ich interviewt - für die Hochschulzeitung meiner Uni, an der ich vor 12 (!) Jahren studiert habe. So lange ist das schon her und ich weiß nicht genau, wie ich das finde. Mein Interviewpartner siezt mich und ich fühle mich unheimlich alt. Ich stelle mich wirklich ein bisschen an mit dem Älterwerden. Dieses Jahr habe ich tatsächlich die ersten grauen Haare bekommen. Erst hoffte ich, es wäre vielleicht eine hormonelle Angelegenheit oder gar Stress, aber den Zahn zog mir meine Frauenärztin direkt: „Naja Heli, wie alt bist du denn jetzt?“, fragte sie mich lachend. Wir duzen uns übrigens und ich sagte tapfer, „ich werde im Sommer 36“. Da schmunzelte sie und versicherte mir, die grauen Haare seien ganz normal und ich sei noch besser dran als manch andere. Einige verlieren mit der Geburt von Kindern völlig ihre Haarfarbe. 

Sorglose Geselligkeit

Zurück zu meinem Interview. Der junge Mann am anderen Ende von Deutschland fragte mich durch den Monitor, ob ich denn eine besondere Erinnerung an meine Studienzeit habe. Etwas, woran ich gerne denke. Da musste ich erst mal überlegen und glotzte einige Sekunden blöd auf meinen Bildschirm. Das Studium an sich nervte mich eigentlich ein bisschen, muss ich zugeben. Also es war schon eine gute Zeit, ich lernte viel und fühlte mich meistens ziemlich wohl. Ich habe mich ausprobiert, einiges erlebt und vor allem gelebt. 

Aber wenn es ein Gefühl gibt, an das ich mich gern erinnere, dann ist das eine gewisse Sorglosigkeit. Das kann natürlich auch mit der aktuellen Situation zu tun haben. Aber diese wilde, unbeschwerte Geselligkeit im Radiostudio der Hochschule, beim Swinging Sofa mit der Fachschaft oder den albernen Redaktionssitzungen, die manche meiner KommilitonInnen häufig viel zu ernst nahmen, war großartig. Die Nächte, die wir dicht aneinandergedrängt mit Bier in den Händen gemeinsam verbrachten. Dieses herum lungern und bis in die frühen Morgenstunden über Unmögliches schwadronierten. Daran denke ich gerne zurück.

Und dann kommt genau dieses Gefühl plötzlich in mich. Ich fange an zu schwingen, lache unkontrolliert und wundere mich über mich selber. Mein Gegenüber mustert mich merkwürdig, als ich gerade wieder die Kurve bekomme. Hat der Kontakt zu einem neuen Menschen, und sei es nur digital, schon dieses Glücksgefühl ausgelöst? Kaum vorstellbar. Aber das Gefühl bleibt in mir hängen, noch lange nach dem Interview. Und dann wandelt sich die Erinnerung plötzlich. Sie beginnt zu schmerzen, denn es ist genau das, was mir gerade so sehr in meinem Leben fehlt. Es hat nichts mit Mann, Kind und Haus zu tun, das gibt mir Halt und erdet mich. Meine Familie beruhigt mein flatterhaftes Ich. Das wiederum fehlte mir übrigens zu Studienzeiten. 

Was jetzt abhandengekommen ist, ist das Gefühl von Freiheit. Freunde sehen, wann ich Lust hab, mit ihnen unbeschwert und angstfrei zusammensitzen. Eigentlich wollte ich dieses Wochenende bei einer Freundin in ihrer WG verbringen. Ich hab abgesagt, weil ich Angst bekommen habe. Angst vor mir selber, denn ich kenne mich, wenn ich erst mal unter Menschen bin, die ich mag, verliere ich jegliches Distanzgefühl. Dann möchte ich sie berühren, reden, kichern, tanzen. 

Einsamkeit hat viele Gesichter

Freunde nicht sehen, auf Freiheiten verzichten und Zukunftsängste belasten uns seit der Pandemie noch mehr. Corona verstärkt diese negativen Gefühle. Und das ist nicht nur bei mir so. Der Psychiater Mazda Adel sagt: „Die Rate an Angst, Depressivität und Erschöpfung hat in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, zugelegt.“

Bei Quarks&Co ging es kürzlich genau darum. Was macht Corona mit uns? Mit mir macht es einiges, ich habe das Gefühl, Corona verändert mein Wesen. Ich bin ständig müde und möchte doch sofort aufspringen und etwas tun. Ich will meine Freunde sehen und mich lieber zu Hause vergraben. Ich will verreisen und am liebsten in meinem Garten bleiben. Mit einer Freundin war ich bei Banksy in der Station Berlin und hatte ein ganz komisches Gefühl. Einerseits genoss ich die vielen Leute, die dort waren und sich die Ausstellung anschauten. Ich beobachtete, lauschte und kicherte hinter meiner Maske und andererseits wollte ich so schnell wie möglich wieder da raus. Diese vielen Leute machten mir auf einmal Angst. Ich bin (m)ein eigener Gegensatz, dachte ich verwirrt.

Zu dieser inneren Zerrissenheit gesellte sich diese Woche noch ein Fototermin. Ich wollte gerne schöne Bilder von mir auf meiner Webseite haben. Vor allem wurden mir professionelle Bilder empfohlen, inklusive Fotograf. Ich sollte mich also mit einem neuen, fremden Menschen treffen?

Fremde Nähe macht uns Menschen eigentlich Angst: Stresshormone werden ausgeschüttet, das Herz beginnt zu rasen und wir wollen flüchten. Das ist bei jedem etwas unterschiedlicher ausgeprägt. Jeder hat eine andere sogenannte Distanzzone. Meine ist auf jeden Fall etwas geringer, als bei anderen. Ich lasse Fremde, sofern sie mir sympathisch sind, schneller näher an mich heran und bin auch selber manchmal etwas distanzlos, das weiß ich wohl. Aber dieses Treffen mit dem Fotografen zeigte mir, dass ich mich verändert hatte, Corona hatte mein Urvertrauen gekippt. Ich hatte plötzlich Angst vor fremder Nähe. Ich war nicht mehr ich.

Dann sah ich eine Reportage über Einsamkeit und verstand plötzlich, dass auch ich davon betroffen war. Ich merkte es daran, dass ich plötzlich nicht mehr wach wurde. Vor einem Jahr war ich frei nach Trude Herr „ich bin morgens immer müde, aber abends werd ich wach“. Jetzt ist es so: „Ich bin morgens immer müde und am Abend schlaf ich ein.“ Was war los mit mir? Mein Ich ist verloren gegangen. Ein Jahr Corona hat gemacht, dass auch ich mich einsam fühle. 

Angst vor dem Unbekannten

Ich habe zwar meine dreieinhalb Kontakte und meine Familie bei mir. Aber für mich ist das wenig, ich bin gerne unter Leuten, lerne neue Menschen kennen und verbringe Zeit mit Unbekannten. Jetzt hatte ich einen Termin mit einem Fotografen, der mich für meine Internetseite porträtieren sollte. Endlich jemand Neues, ich war aufgeregt. Und dann kurz vorher saß ich im Auto und hatte Angst. Ich stellte mir plötzlich Fragen, die ich zuletzt als Teenager im Kopf hatte: Was, wenn wir uns nicht mögen? Wenn er mich unsympathisch findet oder gar hässlich? Fragen, die ich nicht von mir kenne. Im Normalfall bin ich mir meiner sicher und weiß mich zu benehmen. Ich weiß, wie ich wirke und plötzlich war ich unsicher, fühlte mich schüchtern. Aus der Ferne beobachte ich den Rosa-Luxemburg-Platz, um zu erkennen, wer der Fotograf sein könnte. Ich kam mir so doof vor, aber das waren wohl die Auswirkungen des monatelangen Lockdowns. 

Als ich das begriff, wusste ich, was zu tun war. Ich musste zu alter Stärke zurückfinden. Schultern straffen, Kopf hoch und lächeln. Es klappte, ich wurde wieder ich, legte meine Skepsis ab und öffnete meinen Blick. Entgegen meiner Erwartungen wurde der Vormittag fantastisch, nicht zuletzt auch wegen dem Fotografen. (Stefan Wieland, danke an dieser Stelle.) Wir hatten einen guten Flow. Er schoss mehr Fotos als geplant und ich fühlte mich sehr schön. Noch immer bin ich beschwingt und genieße diesen besonderen Rausch des Neuen.

Zurück in den eigenen vier Wänden dachte ich darüber nach, was ich tun kann, damit ich dieses merkwürdige Grundgefühl, was über mir schwebt, in Schach halten kann. Ich recherchierte und las, dass es erst mal hilft, wenn ich im Homeoffice vernünftige Kleidung trage. Das ist einfach, dachte ich und schaute an mir herab: Yogahose, alte Wollsocken, kaputter Schlabberpulli. Ertappt! 

In diesem Moment klingelte es an der Tür. Meine Mama und meine Tochter stehen da: „Mama, Mama, Oma und ich waren shoppen. Wir haben dir etwas mitgebracht.“ Ich musste fast weinen, weil mir meine Tochter feierlich einen schönen neuen Hoodie überreichte. Hat sie das gespürt? „Damit du zu Hause auch etwas Hübsches zum Anziehen hast“, erklärte sie lachend. Ich musste meine Tränen zurückhalten, so sehr berührte mich diese kleine Geste. Ein schöner Moment im Corona-Alltag, daran möchte ich mich später erinnern und beschloss es als Highlight in mein Tagebuch zu schreiben.

In diesem Sinne, kauft euch einen schönen Hoodie, damit ihr auch zu Hause gut ausseht und bleibt stets leicht&lebendig.

Eure Heli

Danke liebe Almuth für dieses Bild und die Erinnerung an einen sehr sorglosen und geselligen Abend!

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Ohne Mampf kein Kampf