Komm schon Heli

Ein Rausch, über (m)einen Sportlehrer

„Heli, was ziehe ich denn an, damit ich nicht so stinke?“, fragte mein Mann kürzlich.
Ich wunderte mich. „Wo willst du denn hin?“, fragte ich zurück.
„Na zum Zahnarzt.“
„Und wieso hast du Sorge, da zu stinken?“
„Weil ich gleich früh hingehe und danach zur Arbeit fahre.“

Ah, dachte ich, das erklärt natürlich einiges. Mein Mann fährt in Radklamotten zur Arbeit. Was so ein gestandener Triathlet ist, der steigt nicht ohne Radschuhe und entsprechende Kleidung auf seinen Hobel

„Meinst du, das geht so?“, rief er aus dem Keller. Des Gatten Funktionskleidung befindet sich komplett im untersten Geschoss, direkt neben der Waschmaschine. Funktionskleidung hat nämlich einen ganz besonderen Duft, der auch nach mehrmaligen Waschgängen nicht mehr raus geht. Ich weiß nicht, ob ich vielleicht einfach eine Macke mit meiner Nase habe, die Dinge riecht, die nicht da sind. Aber wenn mein Mann diese zwei bestimmten Funktionsteile trägt sehe ich vor meinem inneren Auge das Bild meines Opas bei der Gartenarbeit. Er trägt dann sein ältestes abgerissenstes T-Shirt und es stinkt. Kennt ihr diesen Geruch, nach altem Schweiß trifft auf frischen Trief, der in „Plastik-Membran-Super-Atmunsaktiv-Kleidung“ hängt? Ich will einfach nicht an meinen Opa denken müssen, wenn mein Liebster vor mir steht. Der übrigens ganz wunderbar duftet ohne Funktion. 

Jedenfalls trägt er eine Jogginghose, darunter die Radhose und oben einen schicken Pulli. Als ich komisch gucke, zieht er den Pulli hoch und darunter befindet sich der Rest der Radhose. Die sehen aus wie Latzhosen aus Gummi und sind am Hintern gepolstert. „Na hoffentlich schwitzt du nicht, sonst siehst du sehr lustig aus, wenn du den Pulli auf dem Behandlungsstuhl ausziehst.“

Mein Mann ist das gelebte Klischee eines Sportlehrers: Groß, schlank, sehr sportlich, gut aussehend. Naja, das gute Aussehen ist jetzt nicht die Regel. Aber er ist vor allem wirklich auch selber Sportler. Solch einen sportlichen Lehrer hätte ich mir auch gewünscht. Sein Referendariat hat er an einer Sportschule gemacht. Für die Prüfung im Ausdauerlauf ist er mit seinen Schüler:innen mitgelaufen. Ist das nicht cool? Ein Lehrer oder eine Lehrerin, die wirklich mitmachen? Für eine Zwei mussten die Prüflinge neben ihm herlaufen. Für Eine eins deutlich schneller als er sein und alles was dahinter kam, wurde dementsprechend etwas schlechter benotet.

Wenn ich da an meine Schulzeit denke, wird mir ganz schlecht. Ich kam 1992 in Ost-Berlin zur Schule. Meine Eltern würden sagen: „Da war der alte Zopp noch in den Schulen.“ An meine erste Sportlehrerin kann ich mich genau erinnern. Sie sah aus, wie eine abgetakelte Tänzerin aus dem Friedrichstadtpalast. Gerade lief übrigens im ZDF eine wunderbare Mini-Serie darüber. Wie die Choreografin im Fernsehen, nur in viel älter, sah Frau Bottgant aus. Die Haare streng nach hinten gekämmt, ein fester Dutt im Nacken. Ich glaube sie straffte mit der Frisur wirklich ihr Gesicht, ein akkurater blauer Lidstrich, hautenge Leggins, Pfeife um den Hals. Wir zitterten alle vor ihr. Wenn wir Mädels Bodenturnen hatten, legte sie Wert auf Gymnastikanzüge. Wer einen trug, bekam garantiert eine bessere Note. Wer in weiter Jogginghose auf dem Schwebebalken turnte, durfte gleich wieder absteigen. Sie war ein Drachen im Tanzkostüm. 

Später hatte ich noch einmal eine Lehrerin im Sport, aber sie war, wie man früher sagte, eher ein „Mannweib“. Zumindest wurde sie von ihren männlichen Kollegen so bezeichnet, was ich schon als Teenager unangenehm fand. Was sollte denn diese Bezeichnung bedeuten, nur weil sie kurze Haare hatte und sehr groß war? Ich spielte meine ganze Jugend Volleyball, da waren viele groß. Erst später wurde mir die Abwertung der Lehrerin durch diesen Ausdruck bewusst.
Ein anderer Sportlehrer, ich nenne ihn gleich mal Herr Eier, denn die waren bei ihm Programm, sei noch erwähnt. Er trug sehr weite Hosen, die er bis zum Anschlag hochzog. Er scheute sich auch nicht, sich regelmäßig im Sport-und Politikunterricht seine äußeren Geschlechtsmerkmale zu richten, traten sie doch durch die Quetschung stark hervor. Andere behaupten sogar, sie hingen ihm im Sommer aus der weiten kurzen Sporthose heraus, aber das habe ich nie gesehen. Herr Eier war wirklich unangenehm. Ein echter Eiermann.

Etwas anders war es mit Herrn Bubi, er war weicher und freundlicher. Und er war schon alt. Am liebsten spielte er Volleyball, was mir natürlich zugutekam. Ich musste immer alle Übungen vorzeigen und bekam schon dafür eine eins. Auch beim Bodenturnen war er leicht zu beeindrucken. Ich konnte Spagat, damit habe ich so viel Eindruck gemacht, dass mein nicht vorhandenes Talent für Rollen, egal ob vorwärts oder rückwärts, nie auffiel. Herr Bubi war der falsche Opi im Jogginganzug. Insgesamt habe ich in meiner 13-jährigen Schullaufbahn nie wirklich fairen Sportunterricht gehabt. 

Ich habe natürlich den Gatten mal gefragt, was er denn so bewertet. Aber er achtet eher auf das soziale Miteinander. Er sagt, wer sich Mühe gibt und Willen zeigt, hat den Bock schon fast gemeistert. Ich fragte: „Wenn ich also beim Stangenklettern zehnmal an die Stange hüpfe und immer nach drei Zügen abfalle, weil mir die Kraft fehlt, bekäme ich keine fünf?“
„In meinem Unterricht gibt es kein Stangenklettern“, sagte er. Hach toll, ich weiß einfach sehr genau, warum ich mit dem Kerl mein Leben teile. Guter Typ. Guter Sportlehrer.

Ich merkte das übrigens auch bei der Geburt unserer Tochter, er war natürlich von Anfang an mit dabei, bis zum harten Ende, dass er Sportlehrer (und Triathlet) ist. Er hat das ganz wunderbar gemacht, mich regelrecht angefeuert:
„Komm schon Heli, du machst das super.“
„Ja nur noch ein kleines Stück, dann ist es geschafft!“
„Komm mal, komm mal, komm mal.“
Da war bei mir Schluss: „Ich laufe doch keinen Marathon“, schrie ich ihn an.
Er bekam sofort einen Schreck, wurde noch blasser, als er sowieso schon war und beschränkte sich wieder auf das Festhalten meiner Hand. Es war gemein von mir, ihn so anzubrüllen, er wollte mir ja nur helfen. Schon klar, aber ich kam mir einfach vor wie eine Sportlerin auf der Zielgeraden, auf der ich zu diesen Zeitpunkt aber noch lange nicht war. Wir schafften es dennoch gemeinsam wunderbar mit der Geburt.

Als er mich jetzt fragend anschaut und ein bisschen genervt auf eine Antwort der folgenden Frage wartet: „Kann ich jetzt so zum Zahnarzt gehen oder sieht man mir den Sportlehrer direkt an?“, muss ich doll lachen: „Ja du siehst ganz genau aus wie ein Sportlehrer.“
Da lacht er: „Naja, ich komme eben auch nicht aus meiner Haut (Hose).“
Später denke ich darüber noch mal nach, ob ich so einen Sportlehrer wirklich hätte haben wollen und komme zu dem Schluss: Nein. Denn in den hätte ich mich ja sofort verliebt.

In diesem Sinne, bleibt immer ein bisschen sportlich und vor allem leicht&lebendig, Helen


Keiner, der hier erwähnten Lehrerinnen und Lehrer hieß wirklich so. Die Namen habe ich mir ausgedacht, jedoch nicht die Figuren.


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Die RauschVon Wort wurde von Sophie Schäfer passend illustriert. Dafür schreibe ich: Danke!

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