Er weiß, was wir wollen

Ein Rausch über die Tücken von Sprache und Handstand

Manche machen es mit Schwung, andere stellen die Hände auf den Boden und ziehen sich dann langsam hoch. Einige lassen es lieber ganz. Bei denjenigen, die es richtig gut können, sieht es leichter aus als ein Kinderspiel. So eine wäre ich gerne, wenn ich Handstand mache. Ich stelle meine Hände vor mir auf den Boden, strecke die Beine, hole mit dem linken Bein Schwung und stehe. Elegant in der Luft. In Gedanken applaudiere ich mir selber, endlich schaffe ich den Handstand, wie ich es mir vorstelle. Tja, aber genau das ist das Problem: So stelle ich es mir vor.

Aber wie so oft liegen Realität und Fantasie weit auseinander. Ich kann wohl ein bisschen Handstand, aber nicht so, wie ich es eben gerne könnte. Genauso übrigens, wie ich auch spanisch spreche. Ich denke, meine Handstand- und Spanischkünste haben in etwa ein ähnliches Level. In der Theorie weiß ich ganz gut, wie es funktioniert. Mir ist klar, wie ich Sätze bilde, was ich den Menschen mir gegenüber mitteilen möchte. Ich weiß, wie ich die Hände setzen muss und welche Muskeln ich anspannen soll, um gerade zu stehen und nicht umzufallen.

Aber wenn ich dann dastehe und Small Talk versuche, kommt die Wahrheit ganz schnell ans Licht. Dann vermischen sich falsche Wörter, wirre Sätze und unzulängliche Vokabelkenntnisse zu einem großen Ganzen und heraus kommt..naja…
Wir haben auf unserer Insel eine Art Stammbar, die sich in unmittelbarer Nähe unserer Wohnung befindet. Manchmal trinken wir dort auf dem Heimweg Sangría und das Mädchen bekommt einen Crêpes. Der Kellner kennt uns schon, begrüßt uns mit Handschlag (kein Handstand) und weiß genau, was wir bestellen wollen. Seit wir regelmäßig auf der Insel sind, begleitet er unsere Zeit hier. Wir mögen ihn sehr, weil er immer die gleichen Scherze macht, weil er uns ein Gefühl von zu Hause gibt, obwohl wir fremder nicht sein könnten und weil er immer so tut, als würde er mich verstehen.

Als wir vor zwei Wochen, nach fünf Monaten kaltem und grauen Winter mit weißen Gesichtern bei ihm aufschlugen, kam er uns schon entgegen. Er organisierte direkt einen Tisch und lachte sein herzhaftes Lachen, dass wir manchmal bis hoch auf unseren Balkon hören können.

Diesmal stand ich mutig vor ihm und wollte so gerne von meinen neuesten Spanisch-Kenntnissen berichten. Denn seit einigen Wochen lerne ich an der Volkshochschule in Berlin die Sprache. Ich wollte zeigen, was ich gelernt hatte und wollte, wie gut ich mich schon unterhalten kann. Aber in diesem Moment fiel mir nichts Gescheites ein. Ich war sprachlos – und das kommt wirklich nicht so oft vor. Aber dann sagte ich doch etwas und unser Kellner schaute mich mit großen Augen an und dann lachte er sein Lachen, nickte und sagte: „Si, ahora tres.“ (Ja, jetzt sind es drei.)

Wir fielen alle in sein Lachen ein und setzten uns. Nachdem ich die ersten Schlucke aus meinem Glas getrunken hatte, dachte ich noch einmal gründlich darüber nach, was ich wohl gesagt habe. Der erste Enthusiasmus war verflogen und die Erkenntnis hielt Einzug in mein wirres Gehirn. Wenn ich mich richtig erinnere, dann habe ich so etwas ähnliches wie „Nächstes Jahr habe ich drei Tische gehabt“ gesagt.
Nun, das erklärt vielleicht seinen merkwürdigen Blick und das extra starke Getränk. Meine Familie jedenfalls amüsierte sich köstlich und ich dann auch ein bisschen. Immerhin hatte ich es versucht und das zählt ja wohl am meisten. Mein Mann sagt immer: „Von nüscht, kommt nüscht.“ Also werde ich es weiter versuchen, mit der Sprache – und dem Handstand!

Nächstes Mal mache ich einfach gleich Handstand, wenn wir bei der Bar ankommen. „Unser“ Kellner wird schon wissen, was wir wollen.

Bleibt leicht&lebendig,
Helen


Ich war im Podcast „Kir Royal – Friday Latenight Talk“ zu Gast und habe mit Diana Straub über Alltag, Beziehung, unerklärliche Anziehungskraft, über Moral, Werte und Ethik gesprochen.
Kurz: Über mein Buch-Manuskript. Die ganze Folge gibt es hier zum nachhören: kir-royal-podcast

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