Das Konfetti ist tot

Oder warum 2020 mich beschissen hat. Ein Jahresrückblick.

An meinen Fingern kleben bunte Konfetti-Schnipsel und auf meinem Kopfkissen ist schwarze Wimperntusche verschmiert, die Reste vom rauschenden Glanz der Nacht. Wer hat denn hier gefeiert? Ist doch nicht erlaubt. Corona, Baby.

Das Jahr 2020 hat mich irgendwie beschissen. Ich fühle mich verarscht. Ich habe unglaublich viel Mut aufgebracht, meine Stelle in der Schule gekündigt und bin einen Schritt gegangen, von dem ich dachte, das traue ich mich nie.

Etwas Neues und doch zurück zu den Wurzeln meines Seins sollte es sein. Mein Mann sagte: „Jetzt mach doch endlich das, was du schon immer machen wolltest!“ Und ich? Ich tat es einfach. Ich fing an, diesen Roman zu schreiben, über die Stadt und ihre wilden Nächte, über Ellen und Samu, die sich schon so lange kennen. Und gerade als ich mich an meinen Mut gewöhnt hatte und mich mit meiner kreativen Zeit arrangierte, kam Corona und setzte mich außer Gefecht.

Wenn man so wie ich noch nie frei gearbeitet hat und bisher immer ein regelmäßiges Einkommen hatte, dann kann einen das ganz schön verunsichern. Ich musste nicht nur lernen, wie ich am besten arbeite, sondern auch noch meine Finanzen ganz anders regeln. Und auf einmal waren alle zu Hause. Mein Mann ist Lehrer, unterrichtete vom heimischen Schreibtisch und das Schulmädchen sollte Malfolgen lernen. Mein Schaffensprozess steuerte auf seine erste Krise zu. Und das obwohl es noch nicht einmal richtig angefangen hatte.

Dazu kamen all die Zweifel, die ich hegte: Bin ich gut genug? Will das überhaupt jemand lesen? Es gibt doch alles schon. Und überhaupt all die etablierten Autorinnen, die es nicht emotional aus der Bahn warf, schrieben jetzt auch Bücher. Alle waren zu Hause, alle hatten Zeit. Wie sollte mein Werk je einen Blick bekommen? Ich war am Ende, ohne Anfang.

Aber ich schaffte es, ich schrieb das Manuskript im Herbst fertig, überreichte es feierlich den ersten Testleserinnen und schickte Ende des Jahres die Esposés an zahlreiche Verlage. Jetzt übe ich mich in Geduld. Und das fällt mir sehr schwer. Aber langsam werde ich doch unruhig. Mein finanzielles Puffer reicht noch ungefähr ein Jahr. Das muss genügen, um als freie Journalistin und Autorin Fuß zu fassen.

Jetzt frage ich mich, ob ich das hier so schreiben kann? Oder ist es zu privat? Geht es doch eigentlich niemanden etwas an? Oder geht es eben doch ganz viele etwas an? Weil es einfach die Wahrheit ist. Ich glaube, so reflektiert und mir selber gegenüber ehrlich habe ich noch nie geschrieben, aber ich war auch mit einer Entscheidung noch nie so glücklich. Hatte noch nie so viel Spaß bei der Arbeit und gleichzeitig solche Angst vor dem Scheitern. Und ich bin schon oft gescheitert.

Die Wahrheit über das kreativ sein, das kreative Arbeiten: Es beglückt und entzückt mich so sehr. Wenn Geschichten in meinem Kopf entstehen. Menschen und Gefühle verbinden sich mit verrückten Abenteuern und werden zu neuen Personen und neuen Wahrheiten. Als Teenager war ich immer die Tratsch-Tante, wollte alles wissen und keiner erzählte mir etwas. Alle hatten sie Angst, ich würde was weiter sagen, dabei veränderte ich alles nur. Nie erfuhr jemand wirklich die Wahrheit – auch nicht über mich. Heute denke ich, dass die meisten Menschen diese gemischten Geschichten mögen. Alle erkennen überall ein bisschen sich selbst und sind sich doch fremd. Am Ende weiß niemand, wer wirklich gemeint ist. Manchmal weiß ich selber nicht genau, was in meinem Kopf entstanden ist und was echt war.

Es gibt diese Geschichten, die erzähle ich so oft – jedes mal anders - dass ich selbst nicht mehr weiß, wie es sich zutrug. Aber wie ich 2020 Silvester gefeiert hab, weiß ich noch. Nur wer bei Carcassonne die größte Burg gebaut hat, ist mir entfallen. Die meisten Wirtshäuser am Meer mit dem besten Bier hatte ich. Aber naja, die Schänken stehen natürlich am Fluss und Bier gibt es auch nicht.

Das Konfetti landete jedenfalls zu schnell im Müll. Ich wollte den Glanz der Nacht noch ein bisschen bewahren. Eine Nacht, die wie jede andere ist und in der doch alles neu wird. Hoffentlich wird es auch neu und jetzt klicke ich auf veröffentlichen und klebe mir den letzten Konfetti-Streifen an die Stirn. Guten Morgen neues Jahr.

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Tanzen, wie vor Corona.

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Mein geliebter Sommergarten