Vorsicht, Feingefühl!

Ein Rausch über die Euphorie des Neuen

Vor einigen Wochen hat sich für mich eine Tür geschlossen, vorerst. So hoffe ich. Eine Tür, die bisher eine erhebliche Rolle in meinem Leben gespielt hat. Nämlich
die zur Verlagswelt – und damit auch zu meinem Roman „Eine Nacht für alles“.
Aber keine Tür schließt sich einfach so, richtig? Schließt sich eine Tür, öffnet sich eine andere. Die Tragik besteht jedoch darin, dass man auf die geschlossene Tür blickt und die geöffnete nicht beachtet. Ich mag diese Sprichwörter eigentlich nicht, aber dennoch klammere ich mich an sie. Es gibt doch einige, die so schön Hoffnung machen.

Während ich noch meine Wunden leckte und zu verstehen versuchte, dass mein schöner kleiner Roman offenbar in keine Schublade passte und das Hauptproblem wohl daraus bestand, dass es kein wirkliches Problem gibt, öffnete sich schon eben jene neue Tür.

Es begann damit, dass mir die Schulleiterin einer Schule, in der ich jede Woche den Kurs „Kreatives Schreiben“ leite, das „Du“ anbot. Dass es sich komisch anfühlt von einer Schulleiterin geduzt zu werden, soll hier nicht das Thema sein, nur ein kleiner Sidekick. Wie ich so bei ihr saß und gar nicht richtig zuhören konnte, weil ich noch damit beschäftigt war herauszufinden, ob ihr Vorname zu ihr passt, bot sie mir ein neues Projekt an: „Könnten Sie sich vorstellen, Begabtenförderung in Deutsch zu machen?“, fragte sie mich und schaute mich aufmerksam an. Ich lächelte, nickte und antwortete laut und deutlich: „Ja, na klar.“
Gleichzeitig gedacht habe ich etwas völlig anderes: Sicher fördere ich gerne begabte Kinder, aber darf ich das überhaupt? Wo ich doch selbst gar nicht begabt bin.

Traurig sein ist erlaubt

Das gute alte Imposter-Syndrom schlug mit aller Wucht zu. Es schrie mich an und rief: „Bild dir bloß nicht ein, du seist begabt! Niemand mag deine Texte, niemand will dein Buch. Es ist schlecht!“ Das Imposter-Syndrom oder auch Hochstapler-Syndrom beschreibt, wenn sich Menschen trotz ihres beruflichen Erfolgs unzulänglich fühlen. Die Betroffenen haben das Gefühl, dass sie ihren Erfolg nicht verdienen und nicht so begabt sind wie andere.

Wer das hier liest, denkt jetzt, die spinnt doch! Ich freue mich, wenn du das anders siehst. Ich glaube es dir, aber ich fühle es nicht. Denn in diesem Moment befand ich mich auf dem Weg nach unten. Das ist eben so, und das gilt es zu akzeptieren. Ich darf traurig sein. Ich musste mir das hart erkämpfen. Mit meinen besten Freundinnen hatte ich ausgemacht, sollte es mit diesem ersten Roman nichts werden, dann darf ich trauern. Ich darf mich im selbstmitleidigen Schlamm suhlen, schreien und wüten – und wenn ich das ausführlich getan habe, dann stehe ich auf. Erstrahle neu und denke mir etwas Neues aus. Ideen habe ich schließlich genug. Sie stellten nur eine Bedingung: „Nimm dir Zeit für deine Trauer“, sagten sie.

Ehrlicherweise muss ich sogar gestehen, dass ich schon seit einiger Zeit Lust auf etwas Neues habe. Das war schon immer so bei mir. Ich langweile mich schnell, brauche Abwechslung, und wenn etwas nicht gleich klappt, suche ich mir lieber etwas Neues, als ewig dran zu bleiben. Ich habe noch keinen Job so lange und mit so viel Leidenschaft gemacht, wie dieses Manuskript immer und immer wieder zu bearbeiten und umzuschreiben. Aber jetzt war es genug, und ich hielt mich natürlich nicht an die Bedingung.

Neue Idee

Entgegen dem Ratschlag meiner Freundinnen nahm ich mir keine Zeit, denn schon kurz darauf erzählte ich meiner Literaturagentin von einer neuen Idee. Anders als bei meinem ersten Roman hatte ich ja nun schon diese Agentin. Ich habe also direkt eine Ansprechpartnerin, was für ein Glück. Ihr Antwort lautete: „Schreib ein Exposé!“ Sie mag die Idee; sie findet sie sogar richtig gut. Und in mir keimte Hoffnung. Sie würde das ja nicht sagen, wenn sie mich für unfähig halten wurde. Und von einem Tag auf den anderen entstieg ich dem Schlamm, duschte den Dreck von mir und kleidete mich neu ein. Magischer Sternenstaub fiel über Nacht auf meine Bettdecke und verlieh mir in den darauffolgenden Tagen die Euphorie eines Neuanfangs.

Ich verrate nichts über diese neue Idee. Nur so viel: Es wird anders, ganz anders. Und gleichzeitig steckt so viel wie nie von mir in dieser Idee. Den Sommer werde ich also damit verbringen, mir Protagonist:innen auszudenken. Orte zu entwickeln und Kapitel zu gestalten. Nach dem Gespräch war ich high. Kreativ sein ohne Deadline. Willkommen im Paradies.

Nichtsdestotrotz blieb die Skepsis, die Angst zu versagen. Die Sorge, dass wieder alles umsonst sein könnte. „Nein, nein, nichts ist umsonst“, ist bestimmt auch so ein Sprichwort. „Aus jeder Niederlage kann ich etwas lernen.“ Naja, so oder so ähnlich heißt es doch. Meine Idee bewegt sich fernab meiner Komfortzone, fernab von dem, was ich eigentlich immer schreiben wollte. Aber laut den Menschen um mich herum kann ich genau das richtig gut.

Schlüsselmoment

Im Friedrichshainer Theater Verlängertes Wohnzimmer habe ich ein Stück aus der Reihe „Toni&Friends“ besucht. Einer Konzertreihe, die sich zwischen Oper und Rap bewegt. Gastgeberin Antonia Regis lädt dazu monatlich wechselnde musikalische Gäste ein. An diesem Abend trat die Schauspielerin und Sängerin Verena Bonnkirch auf. Toni und Verena kennen sich aus einer gemeinsamen Zeit beim Musical. An einer Stelle des Abends unterhielten sich die beiden über die Rollen, die sie immer gerne spielen wollten und in welche sie stattdessen gesteckt wurden. So wollten beide die ernste, tiefgründige Heldin sein. Verena wurde aber mit den lustigen, ironischen Rollen besetzt und Toni oft mit der schönen Prinzessin. Lange haben sie sich dagegen gewehrt und irgendwann ihr Schicksal angenommen. „Vielleicht wissen andere manchmal tatsächlich besser, in was man wirklich gut ist?“, fragten sie sich. Und ich mich dann auch.

Ein Schlüsselmoment. Eine Erkenntnis. Bin auch ich viel besser, wenn ich mich in Gefilden bewege, wo ich mich selber nicht sehe? Mein Kulturfreund, der neben mir saß, schaute mir tief in die Augen und zwinkerte mir zu. War mein erstes Manuskript am Ende genau dafür gut, um zu verstehen, dass ich eigentlich etwas anderes viel besser kann? Bin ich tatsächlich ernsthafter und tiefgründiger, als ich immer dachte?

Nach dem Stück schlenderten wir noch ein bisschen durch die Gegend und mir wurde klar, dass dieser Abend gefüllt war mit Themen, die alles andere als einfach waren. Der Kulturfreund und ich sind eigentlich immer sehr leicht und lebendig unterwegs, manchmal ein bisschen verrucht. Wir lachen viel, sind albern und meistens betrunken. Dieses Mal sprachen wir über unsere Familien, über Traumata und unsere Kinder. Und obwohl ich ihn schon lange kenne, erzählte er mir zum ersten Mal von seinem Vater.

Abends im Bett beschloss ich, mich nach den anderen geöffneten Türen umzuschauen. Und anstatt meine neue Idee mit Krawumm und viel Aufregung durch die Tür zu schießen, entschied ich mich dafür, sie vorsichtig und mit reichlich Feingefühl hindurch zu tragen – und auf mein Können zu vertrauen.

In diesem Sinne: Öffnet Türen, nehmt etwas Schönes mit, und macht euch frei von zu festen Vorstellungen,
Helen

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Rabenväter und Karrieremänner