In geselliger Bewegung

Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass ich diese Woche über psychische Gewalt in Beziehungen schreibe. Ein schweres Thema, das mir aber in letzter Zeit mehrfach begegnete und über das auch in sozialen Medien viel geschrieben wird. Dennoch konnte ich mich nicht durchringen, weiter zu recherchieren und nicht nur über die Geschichten zu schreiben, die ich gehört hatte.

Seit unsere Tochter eine kleine Feministin ist und alles gendert, was ihr zwischen die Finger kommt: RechermeisterIN, GrundschulkönigIN, FeuerwehrFRAU, BauarbeiterIn will ich darüber einen Text schreiben. Vor allem weil es in unserer Familie immer wieder Diskussion und regen Tisch-Austausch dazu gibt. Ich sage nur „früher“ und so. Aber auch dazu konnte ich mich nicht entschließen.

Und das dritte Thema, was mich diese Woche mitnahm, ist die Geschichte einer alten Freundin. Sie meldete sich nach langer Zeit bei mir und sagte: Ich wurde als Kind missbraucht. Mehr kann ich dazu erst mal nicht schreiben. Wir denken über ein gemeinsames Projekt nach. 

Aber all das inspirierte mich nicht so sehr wie das:

Unerwartete Hauptdarsteller

Ich traf auf eine Anhäufung von Lebewesen, die mich faszinierten. Sie krabbelten übereinander, aneinander, aufeinander. Sie lagen bräsig in der Sonne und genossen das gemeinsame Leben. Hunderte von Feuerwanzen, häufig werden sie fälschlicherweise als Feuerkäfer bezeichnet, lagen am Fuße eines Baumes und sonnten sich. Es war unglaublich. Ich stelle mir sofort vor, ich wäre eine Feuerwanze: Ich liege mit meinen besten Freunden in der Sonne und genehmige mir einen Schluck aus der Laus. Körper an Körper, küssend und einander berührend, den Atemhauch der anderen spürend. Eine seichte Brise weht uns um die Nase und eine wärmende Ruhe breitet sich in mir aus. Wie zufrieden ich war. 

Dann wurde es dunkel, ich spürte einen Tropfen auf meiner Stirn und öffnete schnell die Augen. Der Himmel hatte sich zugezogen und aus den Tropfen wurden hässliche Hagelkörner.

Ein Blick zu den Wanzen verriet mir, dass sie es schon schneller kapiert hatten als ich. Ein wildes Gewusel zu meinen Füßen und doch scheinbar mit Sinn und Verstand sammelten sie sich und verschwanden im Kollektiv im Gebüsch. Sogar sie bekommen die Krise schneller und vor allem besser in den Griff.

„Was die da jetzt wohl machen?“, fragte ich mich und war geneigt, mich hinzuknien und nach ihnen zu suchen. Aber zum Hagel kam kalter Wind - mein absoluter Erzfeind - und auch ich wollte mich nur verkriechen, wie so oft in den letzten Tagen. Die Zahlen steigen fleißig weiter und es besteht kaum Hoffnung auf baldige Geselligkeiten in Wanzenmanier. 

Spielplatz für die Wanzen

Schon im ersten Lockdown letzten Frühling haben sich die Kinder aus unserem Kiez mit den geschäftigen Wanzen beschäftigt. Sie haben sie in Eimern gesammelt, ihnen Blätter, Blumen und Steine hineingelegt und einen Spielplatz gebaut. Was sie nicht wussten, ist, dass die Insekten am Liebsten anderes Viehzeug auf dem Speiseplan haben. Mit einem Stechrüssel piken sie die Schale auf und saugen fleißig. Egal ob tote Hummel oder knusprige Assel, Schale aufknacken und ordentlich schlürfen. Wanzen halten also sogar Haus und Hof rein. Wenn es keine toten Insekten sind, gehen auch Samenschalen, Stängel oder Blätter.

Ich bin auch opportunistisch, wenn es um Geselligkeit geht. Es muss nicht immer ein fancy Cocktail sein, ein ordinäres Bier tut es auch. Hauptsache, es sind die richtigen Menschen um mich herum, wenn dann noch die Sonne scheint, bin ich glücklich.

Je mehr ich über die Feuerwanzen lese, desto mehr glaube ich, ich bin eine von ihnen. Allein ihr fantastisches rot leuchtendes Kleidchen macht uns ein bisschen zu Artgenossen.

Geselligkeit kennt keine Grenzen

Ich lerne, dass die Feuerwanzen durch Sonneneinstrahlung aus ihren Winterquartieren gelockt werden. Ich raste aus vor Freude, wieder wie ich. Und dann kommunizieren sie auch noch über Duftstoffe:

„Feuerwanzen kommunizieren über Pheromone, die sie über die Luft abgeben. Sie bilden gerne Gemeinschaften aus und treten dann in entsprechender Menge auf.“, erklärt Dr. Michael Raupach, Wanzenspezialist aus München. 

Also erschnüffeln sie sich eine Lieblingswanze und dann bilden sie riesige Gruppen mit gut riechenden Artgenossen. Ich träume davon, eine Wanze zu sein. Ich muss dazu sagen, ich habe einen ausgesprochen empfindlichen Geruchssinn. Ich rieche Dinge, die keiner in meiner Familie riecht. Gut, jetzt hat mein Triathlon-Mann sich seine Nase mit jahrelangem Chlorwasser-Genuss versaut, aber eh er etwas riecht, bin ich schon vor Ekelgeruch ohnmächtig geworden. Die Wanzen umgeben sich nur mit wohlriechenden anderen Wanzen. Großartig!

Ungarische Forscher haben zudem herausgefunden, dass die Wanzen sehr individuell sind. Echte Charaktere also. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, so ziehen manche Weibchen unerschrocken los, während andere erst einmal die Lage checken. Über die Duftstoffe, die aus ihren Stinkdrüsen kommen, sprechen sie miteinander. Dank eines besonderen Geruchs versammeln sie sich oder verjagen sich dann gegenseitig.

Den Winter verbringen sie in Laubhaufen, natürlich in großer Ansammlung. Ich stelle mir wieder vor, ich verbringe die kalte Jahreszeit mit lauter liebsten Menschen in (m)einem gemütlichen kleinen Häuschen am Kamin. Sobald die Sonne scheint, hocken wir uns auf die Terrasse und schlürfen mit Strohhalm (natürlich aus Glas) einen Apérol Spritz. 

Übrigens dauert die Paarung der Wanzen bis zu 30 Stunden, während der sich das Männchen mit seinem Hinterteil an das Weibchen andockt und es durch die Gegend zerrt. Darüber müsste ich noch mal nachdenken: Ob mein feministisches Ich das so gut finden würde? Da bin ich mir nicht so sicher. Das führt wohl auch bei den Wänzchen mitunter zu Meinungsverschiedenheiten.

Ich bin abgetaucht

Wie schön es ist, sich mit etwas anderem zu befassen, als nur mit Corona und dem ganzen Wahnsinn aus unserem Alltag. Vielleicht suche ich mir jetzt regelmäßig eine Faszination aus der Natur. Das Ganze nenne ich dann: ein Tier wie ich. 

Haltet mal die Augen auf, beschäftigt euch ab und zu mit etwas anderem als mit dem Dreck der Welt. Klingt hart, aber es sei uns erlaubt auch einmal nur ganz kurz die Augen zu verschließen und abzutauchen. 

Vor allem aber bleibt immer schön leicht&lebendig

Eure Heli 

Zeichnung: Formitilla

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