Hängen geblieben

Ein Rausch über Begegnungen im Dazwischen

Die Haustür klappert, ein Schlüssel wird ins Schloss gesteckt, dreht sich und die Tür springt auf. „Haaaaalloooo, jemand zu Hause?“, ruft mein Mädchen laut durchs Haus. Huch, wir erschrecken uns beide, denn ich sitze auf den Stufen der Treppe genau vor ihr. „Mama, stell dir vor, ich bin heute gar nicht nass geworden, obwohl es den ganzen Tag schon regnet.“ Ich schaue sie an und versuche, mich aufzurichten. Schon seit einiger Zeit sitze hier und mein Hintern tut mir weh. „Was machst du da auf der Treppe? Warum sitzt du nicht am Tisch?“, wundert sie sich.

Der Herbst und Berlin sind mit voller Wucht in mein Leben zurückgekehrt. „Und bist du schon wieder im Alltag angekommen?“, fragte mich kürzlich ein Nachbar. Ich lachte nur und schüttelte den Kopf. „NIE“, sagte ich sehr laut und wiederholte es gleich noch einmal. „Nie. Alltag ist nicht meine Stärke. Alltag macht mir Angst und lähmt mich manchmal.“

Ich habe oft das Gefühl, dass ich ständig Abwechslung brauche, immer muss etwas passieren. Obwohl ich es schätzen gelernt habe, mal Ruhe zu haben und mich zu besinnen, kann ich zu viel Beständigkeit schwer ertragen.
Diese innere Unruhe, eine Art Hibbeligkeit, zieht sich durch mein Leben. Aber genauso oft erschöpft es mich, dann sage ich alles ab und verkrieche mich zu Hause. Manchmal arbeite ich deswegen auf dem Boden, weil ich mich dort sicherer fühle. Ich mache mich selber verrückt, weil die Unruhe mich umtreibt. „Kleiner Unruhe-Geist“, wurde ich als Kind deswegen manchmal genannt. Vielleicht bin ich deswegen gerne in meinen Zwischenräumen, weil ich mich da nicht für eine Seite entscheiden muss, sondern einfach zwischen den Welten bin.

Auch mein Roman handelt viel dazwischen. Lu und Samu treffen sich im Gang vor dem Klo, in Hauseingängen und auf Hotelfluren. Das sind alles Orte aus dem Dazwischen. Meinen Mann habe ich in der S-Bahn kennengelernt, ein Zwischenraum. Wir waren an keinem festen Ort, sondern beide auf dem Weg von zu Hause zur Arbeit. Überhaupt finde ich, man trifft in Zwischenräumen interessante Gestalten.

Einmal lernte ich einen Kerl mit dem Namen Amor kennen. Er behauptete steif und fest, er heiße wirklich so und ich habe es ihm erst geglaubt, als er mir bei einem späteren Treffen seinen Ausweis zeigte. Amor war ganz schön merkwürdig. Er besaß kein Handy, also gab er mir die Nummer eines Freundes, der sich dann bei mir gemeldet hat und mir mitteilte, dass Amor mich treffen möchte. Wir sahen uns auf einem Bahnsteig wieder. Amor küsste mich sofort, direkt und ohne jegliche Konversation steckte er mir seine Zunge in den Mund. Er hatte überall Knutschflecken am Hals. Ich sprach ihn darauf an und er sagte ernsthaft: „Das ist von heute Nacht. Die deutschen Frauen sind so wild.“ Dann küsste er mich wieder. Ich war nicht so wild, jedenfalls verpasste ich ihm keinen Knutschfleck. Später, als ich schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, las ich über ihn. Er war sehr aktiv auf dem Tahir-Platz in Kairo 2011. Ich begegnete ihm mehrfach in den sozialen Medien. Ich traf Amor nie wieder, aber bis heute ist er eine lustige Geschichte aus einem Zwischenraum.

Lähmung und innere Unruhe liegen bei mir dicht zusammen. Entweder bin ich gelähmt zu Hause, weil es plötzlich aus Eimern regnet und ich in eine merkwürdige Melancholie falle. Oder ich bin unruhig, weil ich nichts vorhabe. Und wenn Stillstand eintritt, dann habe ich das Gefühl, ich verpasse etwas. Dann werde ich wieder unruhig. Ein Teufelskreis, mit dem ich aber gelernt habe umzugehen.

Unser Flur ist auch so ein Zwischenraum. So klein, dass zwei Leute sich quetschen müssen. Mehr eine Schleuse, als alles andere. Man wird von drinnen nach draußen und zurück geschleust. Immer wenn aus Versehen mehr als ein Mensch in unserer Schleuse landen, gibt das sehr viel Freude und Gelächter. Es gab schon Momente, in denen sich welche mit Ringelpietz und Anfassen im Kreis drehten und dann übereinander purzelten. Sie sind in der Schleuse hängen geblieben. Ich sitze gerne auf der Treppe vor der Schleuse.

Ich habe einen guten Freund, mit ihm gehe ich oft auf Kulturveranstaltungen. Mit ihm bleibe ich oft in Zwischenräumen hängen. Häufig in Hauseingängen, ich kann gar nicht genau sagen warum. Wir gehen auf ein Konzert und bevor wir den Club betreten, quatschen wir uns schon im Vorraum fest. Manchmal sitzen wir so lange an der Bar, bis man uns hinauskehrt. Dann schwatzen wir ewig in einem Durchgang und wollen auf keinen Fall mit in die Wohnung des anderen. Wir haben uns ja schließlich längst verabschiedet. Meistens treffen wir uns weder am Tag, noch in der Nacht, nicht zum Essen und nie nur zum Trinken. Wir sind keine dicken Freunde, aber vertrauter als Bekannte. Wir reden viel über unser Leben, aber sind kein beständiger Teil dessen. Es gibt also auch Dazwischen-Menschen, merke ich gerade.

Oft sehe ich alte Leute am Fenster sitzen, auf ein Kissen gestützt schauen sie in die Welt. Sie beobachten das Treiben in der Welt, an der sie nicht mehr teilhaben können. Ich hänge auch gerne am Fenster rum, ich liebe es auf unsere Straße zu schauen. Ich kenne viele, aber nicht alle. Ich gucke einmal mehr hin und vielleicht auch einen Tick länger.

Autos sind auch ein fantastischer Zwischenraum und eignen sich wunderbar, um dazwischen zu sein. Mir fallen noch Busse ein, Campingbusse. Bei einer Geburtstagsfeier landete ich mal mit Edda und einem Typen in einem Bus. Ich verbrachte eine Nacht mit einem Surfer in seinem Bus und erst kürzlich saß ich mit meinem Mädchen in einem Bus von Freunden beim Frühstück. Man ist weder hier noch da, immer auf der Reise, im Raum zwischen den Welten.

Manchmal bleibe ich an so einem Ort hängen und will gar nicht wieder zurück in den richtigen Raum. Dann trefft ihr mich auf Stufen in Hauseingängen, in der Bahn, an Treppen oder am Fenster. Das ist genau das, was ich so an Zwischenräumen mag: Ich habe Ruhe und bin doch nicht allein. Meine innere Unruhe mag das sehr. Der Regen hat aufgehört, ich öffne das Fenster, lasse die kühle feuchte Luft herein und klettere ins Dazwischen.

Bleibt leicht&lebendig,
Helen


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