„Immer erstmal probieren“
Was Mila Superstar, Andrea Kutsch und Greta Thunberg gemeinsam haben
„Willst du auch Shanti-Bier?“, schreie ich aus dem Keller nach oben und stehe schon am Kühlschrank. Ich liebe diesen Anblick, wenn sich der Inhalt vor mir auftut und ich ein bisschen auswählen kann. Das mache ich sogleich. Ich wähle mit Bedacht und bringe dem Gatten auch eins mit. Ich bin sehr stolz, denn ich habe nach langer Zeit mal wieder eine ganze Stunde Yoga gemacht. Alle Hunde hoch und runter, Schlangen, Wellen, (f)liegende Täubchen und Schmetterlinge, am Ende eine Runde ruhen mit (beinahe) einschlafen. Ich muss mich immer sehr konzentrieren, dass ich nicht wegratze. Ich praktiziere – so heißt es in der Yogi-Sprache korrekt – nun schon seit fast 12 Jahren Yoga und noch immer kann ich nicht ordentlich meditieren. Obwohl es ja angeblich kein richtig und falsch beim Meditieren gibt. Und dennoch versuche ich loszulassen und nicht einzuschlafen. Meine Mantras in unregelmäßigem Wechsel:
„Ich kann genug, ich habe genug, ich bin genug.“
„Ich bin richtig, genau so wie ich bin.“
„Alles kommt, wenn die Zeit reif dafür ist.“
Trotzdem schlafe ich regelmäßig ein und kriege beinahe einen Herzkasper, wenn ich meine Gliedmaßen wieder bewegen soll. Manchmal kommt mein Töchterchen zur Abschlusssalbung und legt sich auf mich, um mich dem Boden näher zu bringen. Sie ist neun Jahre alt und mit 1,40 Meter schon groß, aber vor allem schwer. „Mamasté“ sagt sie dann und lacht in mein Ohr. Falls ich auch nur ein bisschen eingeschlafen sein sollte, bin ich spätestens danach wieder wach. Wir lieben beide die Schluss-Aktion mit den Händen zur Stirn für klare Gedanken, zum Mund für ehrliche Worte und zum Herzen.
Zurück zum Shanti-Bier, es wirkt und erinnert mich an eine Zeit, als ich an einem Späti in der Karl-Marx-Allee jede Woche nach dem Yoga bei dem legendären Victor Thiele, ein Abschluss-Bier trank. Meine damalige Kollegin und ich nannten es Shanti-Bier, weil es eben nach dem Yoga war und das Schluss-Mantra stets mit „Shanti“ war. Während meiner Zeit als Lehrkraft in Marzahn fragte mich eine Schülerin nach dem Kinder-Yoga in einer Vertretungsstunde: „Frau Arnold, was heißt Shanti? Meine Cousine heißt nämlich so und keiner weiß, was es bedeutet.“ Diese Schülerin sagte auch: „Frau Arnold, sie sind mein Vorbild. Ich möchte einmal so aussehen, wie du.“ Ich musste lange an dieses achtjährige Mädchen denken und auch heute schwirrt sie manchmal im Kopf herum und ich frage mich, ob sie noch immer wie ich sein möchte.
Andrea Kutsch trifft Racing Team
Diese Woche war ich im Museum für Kommunikation in einer ganz besonderen Ausstellung: „Vorbilder*innen. Feminismus in Comic und Illustration“. Seitdem denke ich über Vorbilder:innen nach und muss ganz schön tief graben. „Aber was sind Vorbilder überhaupt?“, fragte meine Tochter zurecht, als ich ihr erklärte worüber ich diese Woche schreibe. Und dachte gleichzeitig darüber nach, wer meine Vorbilder sind? Gibt es das überhaupt noch?
Der Duden definiert Vorbild folgendermaßen: Person oder Sache, die als (idealisiertes) Muster, als Beispiel angesehen wird, nach dem man sich richtet.
Als Schulmädchen war mein Vorbild eindeutig Mila Superstar. Ich spielte seit der zweiten Klasse Volleyball. Meine Nachmittage gestalteten sich so: Nach der Schule Hausaufgaben machen, dabei schnell Mila reinziehen und ab zum Training. Leider haben wir es nie geschafft, am Netz einen Flickflack zur Verwirrung des Gegners zu machen. Später wollte ich einen Pferdehof haben, wie die Pferdeflüsterin Andrea Kutsch, sie hatte bei Monty Roberts gelernt. Ich wollte Teil dieser friedlichen Community sein, die ohne Gerte reitet, ohne Gebiss und Steigbügel.
Als Teenager wollte ich dann immer eine BRAVO Redakteurin werden. Mit meinen Lieblingsbands plauschen und sie ausfragen war mein oberstes Ziel. Auf die Bilder mit dem Untertitel „Bravo-Redakteurin Charly Böhm im Gespräch mit Leonardo DiCaprio“ klebte ich meinen Kopf. In dieser Zeit reifte wahrscheinlich mein Berufswunsch. Dann wollte ich wie die Frauen in Farin Urlaubs Racing Team sein. Ich lernte Gitarre spielen, um festzustellen, es macht mir gar nicht so sehr Spaß. Im Studium war der Plan, eine super Journalistin zu werden. Investigativ, korrekt und ungebunden, immer auf der Jagd nach einer richtig guten Story. Aber alles kam anders.
Heute weiß ich nicht genau, wer (m)ein Vorbild ist. Ich möchte unbedingt mein Buch herausbringen, weil ich finde, diese Geschichte muss erzählt werden. Dieses Thema ist für uns alle etwas und ich liebe Ellen&Samu heiß und innig. Sie sind ein Teil von mir.
Für mich sind Vorbilder oft Frauen. Frauen, die ihren Weg gehen, die sich nicht einschüchtern lassen. Vorbilder:innen sind Menschen, die sich um andere kümmern und Menschen, die vor allem zufrieden sind. Für mich ist wichtig, dass ich auf etwas Lust habe, dass ich Ziele habe und das ich ein bisschen machen kann, was ich will. Ich stelle fest es gibt nicht mehr dieses eine Vorbild, sondern ich lebe eine Mischung aus starken Frauen, die mich inspirieren und bewegen. Nicht zuletzt sind das auch meine Freundinnen, die sich im Laufe er Jahre finden, verlieren und neu sortieren. Vorbilder sind für mich Menschen, die ihren Weg gehen und sich nicht unterkriegen lassen. Jetzt fällt mir doch eine ein: Franziska zu Reventlow. Von ihr stammt das Zitat „Alles möchte ich immer“.
Greta und die Omas
Meine Tochter überlegt auch und ihr fällt niemand ein. „Vielleicht Greta Thunberg?“, frage ich mein Kind. Immerhin waren wir letzte Woche bei Fridays for Future. Wir haben ein Plakat gestaltet und sind zur Bühne am Reichstag gefahren. Es war eine riesen Erfahrung und wir fühlten uns als Teil eines großen Ganzen, sehr erhaben spürten wir die Dynamik der Gemeinschaft. Das Wissen, unsere Zukunft vielleicht mitgehalten zu können war fantastisch.
Unheimlich beeindruckt haben uns die Omas for Future, wir haben sofort unsere Oma angeheuert, mitzumachen. Sie ist schließlich auch dafür, dass unsere Erde erhalten bleibt – für ihre Enkelin. Diese Damen sind in jedem Fall auch Vorbilder, denn sie nutzen ihre freie Zeit, setzen sich ein und gehen für die Zukunft ihrer Liebsten auf die Straße. Leider sind nicht alle so und das nervt mich.
„Dieses Rumgebrülle auf der Straße hat doch keinen Zweck.“
„Einfach nur Verpackungen zu reduzieren ist zu wenig.“
„Das es mit Annalena nichts wird, war doch klar, ihr fehlt jegliche Erfahrung.“
Diese Sprüche kann ich nicht mehr hören. Auch viele kleine Schritte können ein großer Sprung werden und jeder fängt mal an. Mensch, wie sollen die „jungen“ Leute denn Erfahrung bekommen, wenn man ihnen keine Chance gibt? Das findet übrigens auch meine Tochter. „Man kann es doch immer erst mal probieren“, sagt sie. Und sie hat recht. Jetzt weiß ich genau, wer mein Vorbild ist. Mein Kind, denn sie geht nicht nur sehr unvoreingenommen an die Dinge heran, sondern vor allem vorurteilsfrei und offen. Sie fragt immer einmal mehr und sie ist mutig genug, auch alte Muster zu hinterfragen und um die Ecke zu denken.
Mein Friedens-Bier ist ausgetrunken, meine Augen fallen zu und ich weiß vor allem, wie ich nicht sein will: Ignorant, unzufrieden und grummelig. Und dann stelle ich fest, dass ich eines ganz sicher bin: Leicht&Lebendig, Eure Heli
Mehr Infos zu denen im Text erwähnten Personen:
Andrea Kutsch
Monty Roberts
Victor Thiele
Annalena Baerbock
Farin Urlaub
Mila Superstar
Greta Thunberg
Fridays for Future
Omas for Future
Franziska zu Reventlow
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Nicht vergessen zu erwähnen: die talentierte Sophie Schäfer, die mir jede Woche eine Illustration zaubert. Danke.